Schallloch-Monster im Klassenzimmer
Mit dem Unterricht vor Ort will die Kreismusikschule Kinder erreichen und Talente entdecken, die an der Kosten- und Logistik-Schwelle scheitern.
VON STEFANIE LANIN
OSTVORPOMMERN. Das Schauloch-Monster ist immer dabei, wenn Christoph Haußer von der Kreismusikschule mit seinen kleinsten Schützlingen übt. Es sitzt in den Tiefen der Gitarre und dröhnt und grummelt laut. „Und wenn du deinen Finger zu weit reinhältst, beißt es zu“, flüstert der Lehrer. Und prompt ziehen Marie-Luise und Lea-Sophie von der Anklamer Gebrüder-Grimm-Schule mit erschrockenem und verlegenem Lächeln die Hand aus dem Schallloch der Gitarre.„Wir wollen natürlich den Spaßfaktor aufrecht erhalten“, erklärt Christoph Haußer, der seit Jahren direkt in die Schulen geht, um die ganz jungen musikalischen Talente zu erreichen. Seit 2005 bietet die Kreismusikschule Ostvorpommern den Unterricht im „heimischen“ Klassenraum an. „Wir nennen das 'Klassen musizieren', obwohl die Schüler eigentlich in recht kleinen Gruppen üben“, erläutert Musikschulleiterin Denise Hartmann.
Mit dem Projekt will sie Kinder erreichen, die vor der Schwelle der Kreismusikschule zurückschrecken. „Weil ihr soziales Umfeld sie nicht gerade dorthin fuhren würde oder weil die Eltern glauben, sie könnten das nicht bezahlen“, erklärt Denise Hartmann. In der Schule sind die jungen Musiker hingegen in gewohntem Umfeld. Ihre Freunde sitzen neben ihnen, der Weg zum Unterricht ist kurz. „Das ist aus psychologischer Sicht einfach leichter“, so die Leiterin.
Christoph Haußer sieht den Vorteil des Schulunterrichts zudem in der doppelten Entlastung der Eltern. Eine Stunde im Klassenzimmer der Grundschule kostet etwa halb so viel wie der Einzelunterricht an der Kreismusikschule. „Und viele Eltern haben einfach nicht die Zeit, ihre Kinder von der Schule zu uns zu fahren und wieder abzuholen“, schildert der 43-Jährige das logistische Problem und ruft in der Grimm-Schule zum „Katzenbuckel“ auf. Eifrig üben die Acht- bis Zehnjährigen die Grifftechnik, sogar ein passendes Katzenfauchen ist dabei erlaubt. Auch wenn viele seiner Schüler die Konzertgitarre mit „Lagerfeuerromantik“ und ein paar Akkorden verwechseln, ist Christoph Haußer sicher: „Hier entdecken wir Talente.“ Fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, die bei „Klassen musizieren“ dabei sind, wechseln irgendwann in den regulären Unterricht der ostvorpommerschen Kreismusikschule, wie Leiterin Denise Hartmann beobachtet hat. Ihre Lehrer sind unter anderem in der Anklamer Cothenius-Schule, der evangelischen Schule, der Zinnowitzer Freien Schule und der Wolgaster Grundschule präsent. „Es ist als Start gedacht. Wie eine Arbeitsgemeinschaft, die aber von außen in die Schule reingetragen wird“, sagt die Leiterin.
NordKurier, 17.07.2009, ST. LANIN